Wie die betrachtete Lithografie1 zeigt, ist der Name von Julius Kuhr in Antiquaversalien auf das Firmenschild gemalt. Seit der schriftgeschichtlichen Spaltung in eine lateinische Antiquasphäre im Süden und einen in gebrochenen Formen schreibenden und druckenden Norden in der Zeit der Spätrenaissance hatte sich in Deutschland eine Zweischriftigkeit etabliert. Lateinische und romanischsprachige Inhalte wurden üblicherweise in lateinischen, deutschsprachige Inhalte dagegen in gebrochenen Formen präsentiert. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts stand Deutschland mit der Fortführung der Frakturtradition im Buch- und Zeitungsdruck schließlich alleine da.
Ganz anders verhielt es sich im Bereich der Handelsschrift und der Schrift im öffentlichen Raum, in dem die Antiquaformen schon früh präsent waren und auch zur Wiedergabe der deutschen Sprache verwendet wurden. So zeigt die von Eberhard Hölscher im Band Firmenschilder zusammengetragene Übersicht deutscher Beispiele vom 17. bis zum 19. Jahrhundert eine große Vielfalt gemalter Schriften, von Antiquaversalien über lateinische und gebrochene Schreibschriften bis hin zur Fraktur.2
Dass das Mischen der beiden Schriftgattungen zudem ein wirkungsvolles Mittel der Auszeichnung war, verdeutlicht die Offerte der Runge’schen Eisengießerei in Berlin von 1848 [Abb. 3]3: Während der laufende Text des Briefes in der üblichen gebrochenen Verkehrsschrift, der Deutschen Kurrent 4 verfasst ist, wurde der Name der Eisengießerei durch einen Wechsel zur Englischen Hand abgesetzt. Erstaunlich ist hier auch der Adressstempel, der ebenfalls lateinische Schrift zeigt, als hätte man es darauf angelegt, die wichtigsten Informationen des Blattes unbedingt leicht erfassbar zu machen.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begünstigte schließlich die zunehmende Internationalisierung der deutschen Wirtschaft den Rückgriff auf auch im Ausland verständliche Schriftzeichen. Aus den 1880er-Jahren haben wir zwei Zeugnisse dafür, dass die Lateinschrift die tonangebende Schrift des Handels geworden war. Friedrich Soennecken berichtet 1881, dass »… die Antiqua bei uns überall da gebraucht [wird], wo es auf die Deutlichkeit der Schrift besonders ankommt, wie bei Landkarten, Denkmälern, Münzen, Banknoten, Firmaschildern, Visitenkarten, Briefadressen, Namens-Unterschriften, sowie für viele andere Zwecke, bei denen mit Deutlichkeit edle Einfachheit und Schönheit verbunden werden soll.« 5 Robert Hagen hält 1885 in seiner Praktischen Anleitung zur Schriftmalerei mit Blick auf die Firmenschilder fest: »Als heute am meisten in Verwendung kommend, ist die Block- oder auch Grotesk-Schrift, und bildet diese mit wenigen Ausnahmen gleichsam die Basis aller übrigen Schriftarten.« 6
1] Hier nur Detail, im Buch in Gänze. © SMBPK 2] Eberhard Hölscher, Firmenschilder. Malerei im Dienste der Werbung, München, Verlag F. Bruckmann, 1965. 3] Hier nur Detail, im Buch in Gänze. © SMBPK 4] Siehe Glossar, p. 108 5] Friedrich Soennecken, Das deutsche Schriftwesen und die Notwendigkeit seiner Reform, 1881, p. 30. 6] Robert Hagen, Praktische Anleitung zur Schriftmalerei, 1885, p. 15.
Bei obigem Text handelt es sich um einen kurzen Auszug aus dem Artikel »Die Schriften der Maler – zu Geschichte und Formen des deutschen Letterings«, und zwar um den zweiten Abschnitt »Antiqua und Fraktur«. Find the English version here.
Verena Gerlach: Karbid, Berlin – de la lettre peinte au caractère typographique. Dreisprachig deutsch, englisch und französisch. Mit einem Vorwort von Fred Smeijers und Artikeln von Fritz Grögel und Sébastien Morlighem. Paris: Ypsilon Éditeur, Oktober 2013.